Im Allgemeinen mag ich es nicht besonders, in Bezug auf eine furchtbare Krankheit wie Anorexia nervosa die verharmlosende Bezeichnung AN zu verwenden, aber es hat sich bei vielen unserer Familien so eingebürgert. Vielleicht erleichtert ihnen dieser geläufige Ausdruck die Auseinandersetzung mit einer Krankheit, die das Leben ihres Kindes - und damit auch ihr eigenes - "gekidnappt" hat und die jedes Gespräch zu Hause dominiert.
Wir lehren die Eltern, die Krankheit zu "externalisieren", das heißt, ihr Kind von der Krankheit zu trennen, um den Eltern zu helfen, zu verstehen, dass ihr Kind sich diesen Zustand nicht ausgesucht hat. Die an Anorexia nervosa (AN) leidende Person ist nicht mehr daran schuld als ihre Eltern oder als eine Person, die Diabetes hat.
Wenn ihr Kind Sie anschreit, weil es sich dick fühlt, seine Geschwister beim Essen zum Weinen bringt und ihnen die Tür vor der Nase zuschlägt, wenn es essen soll, ist es fast unmöglich, das Kind von der Krankheit zu trennen. In dem Moment scheint es naheliegend zu sein, sich zu fragen: "Warum tut sie sich das an? Versteht sie nicht, wie sehr das ihrer Gesundheit schadet? Kann nicht jemand, den sie respektiert, ihr einfach sagen, wie ungesund das ist und sie dazu bringen, damit aufzuhören?"
Nun, zunächst mal: ihr Kind "macht" das nicht, es geschieht mit ihm. Da das durch AN am meisten zerstörte Organ das Gehirn ist, bewirken diese Schädigungen beim Kind krasse, für die Eltern unerklärliche Verhaltensänderungen. Normalerweise gewissenhafte, liebevolle und intelligente Kinder können sich auf eine Art und Weise verhalten, die ihrer Persönlichkeit und Erziehung völlig fremd zu sein scheint. Es ist nicht anders als bei einigen Formen der Demenz, wo ein ehemals bewunderter und liebevoller Großelternteil misstrauisch, verletzend und enthemmt wird. Im Gegensatz zu den meisten Formen der Demenz, die einfach nur ertragen werden müssen, kann die AN der Kindheit glücklicherweise behandelt werden. Mit Erfolg.
Indem wir die Krankheit externalisieren, über sie sprechen, als hätte sie ein Eigenleben abseits unseres Kindes, ihr einen Spitznamen geben, der uns daran erinnert, dass sie unser Kind bewohnt, aber nicht unser Kind ist, können wir uns weigern, dem Opfer, also unserem Kind, die Schuld zu geben.
Alles schön und gut, aber wie können wir dieses Wissen anwenden und mit AN sprechen?
"Das kann ich nicht essen, Mama, weil da Laktose drin ist und ich glaube, deshalb habe ich Bauchschmerzen", sagt ein Kind, das früher gerne Milchshakes und Käsebrote gegessen hat, und "das kann ich auch nicht essen, weil ich wegen meiner Kopfschmerzen kein Gluten mehr esse", und am nächsten Tag: "Ich habe beschlossen, jetzt Veganerin zu werden, Papa, weil wir nicht das Recht haben, den Tieren das Leben und ihre Produkte wegzunehmen." Und am Abend: "Ich sollte drei Stunden vor dem Schlafengehen nichts mehr essen".
Zähneknirschend und eine gewisse Panik niederkämpfend, reagieren die Eltern, wie sie es gelernt haben: "Das ist nur deine Essstörung, die da spricht, Schatz. Du bist nicht laktoseintolerant, wir haben dich testen lassen, und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass du glutenintolerant bist."
"Das ist nur das Gerede deiner Essstörung", "Es tut mir leid, aber wir werden nicht mehr zulassen, dass ED unsere Abendessen kaputt macht", "Ich glaube, du wirst gerade von deiner Essstörung manipuliert", und zum anderen Elternteil oder Großelternteil: "Reg dich nicht auf, Schatz, das ist nur ihr Essstörungsgerede."
Es ist nur ihre Essstörung, die da spricht.
Verärgert antwortet das Kind: "Nein, ist es nicht! Ich bin's! Ich spreche!"
Ich wünschte, ich hätte einen Euro für jedes Mal, wenn ein Teenager mir gesagt hat, dass er sich nicht ernstgenommen und herabgesetzt fühlt, wenn man ihm sagt, dass seine inneren Gedanken und Sorgen "nur die Essstörung sind, die spricht." Aber was soll man als Elternteil tun? Ihnen die Schuld für die irrationalen, oft egoistischen und grausamen Aussagen geben, die sie machen? Verlangen, dass sie komplett aufhören zu reden, wenn sie nicht etwas Nettes über das für sie zubereitete Essen sagen können? Alle wissen lassen, dass ihr Kind die Entscheidung getroffen hat, sich auf eine Art und Weise zu verhalten, die unfair und verletzend gegenüber ihren Eltern und Geschwistern ist?
Es ist schwer, AN zu widersprechen. AN ist irrational, laut und oft bösartig. AN ist nicht zugänglich für Logik und leises Überzeugen. AN ist streitlustig und grausam.
Gibt es Hoffung?
Ich muss an einen jungen Menschen mit schrecklicher Flugangst denken, der in einem Flugzeug in 10.000 Meter Höhe über dem Pazifischen Ozean eine Panikattacke und einen Nervenzusammenbruch erlebt hatte. Was kann man da tun? Wir wissen, dass diese Angst irrational ist, aber für den jungen Menschen ist sie sehr real.
Bedeutet das jetzt, dass Sie nicht mehr vernünftig und rational mit ihrem Kind sprechen sollen? Nein, es bedeutet lediglich, dass ihr ruhiger, tröstender Tonfall stärker sein wird als das, was Sie tatsächlich sagen, dass Sie es festhalten müssen, wenn Sie es schütteln wollen, ihre beruhigenden Kommentare immer und immer wieder wiederholen, es in seine Hände atmen lassen, seine Hände halten und es beruhigen, bis es sich entspannen kann oder eingeschlafen ist.
Gib niemals auf. AN wird es mit Sicherheit nicht tun.
JULIE O'TOOLE, Kartini-Clinic Blog, 15.12.2016
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